Neurostimulationsmethoden sind ein Gewinn für die Psychiatrie

Prof. Dr. med. Sebastian Walther, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bern

 

Unser Fach hat stets davon profitiert, neue Methoden in den Behandlungskanon zu integrieren; denken wir zum Beispiel an störungsspezifische Psychotherapieverfahren oder die gemeindenahe Behandlung chronisch Kranker. Im Moment steht eine Innovation vor der Tür, die ähnliches Potentzal zur tiefgreifenden Bereicherung unseres Faches hat: gezielte Hirnstimulation mit magnetischen oder elektrischen Impulsen. Interventionelle Methoden umfassen Techniken, die invasiv (Tiefe Hirnstimulation) oder nicht-invasiv (Elektrokonvulsionstherapie (EKT), transkranielle Magnetstimulation (TMS), transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS)) die Hirnfunktion beeinflussen können.

Manche Methode ist schon älter und etabliert wie die EKT. Die EKT ist hocheffektiv bei therapieresistenten Depressionen oder schweren katatonen Zuständen. Der genaue Wirkmechanismus ist weiterhin ungeklärt, eine Störung dysfunktionaler Hirnnetzwerke wird angenommen. Ähnlich ist der Mechanismus der tiefen Hirnstimulation zu verstehen. Auch hier werden Elektroden gezielt in Regionen eingesetzt, die zentral für das Belohnungssystem (bei der Depression) oder für hochautomatisierte Bewegungsabläufe (bei Zwangshandlungen oder Tourette) sind. Durch elektrische Stimulation vor Ort werden diese dysfunktionalen Netzwerke gestört, wodurch sich alternative Schaltkreise entwickeln können. Bei schwersten therapieresistenten Depressionen oder Zwangserkrankungen können Patienten von dieser noch experimentellen Behandlung profitieren. Die Operation steht dann am Ende eines intensiven Behandlungsalgorithmus und am Beginn einer neuen integrierten Behandlung, bei der Hirnstimulation mit Psychotherapie und Pharmakotherapie kombiniert wird. Noch kommt diese Behandlung nur für wenige Menschen in Frage, denn der Aufwand ist hoch und die Wirkung ist nur für schwerste Fälle belegt. Im Gegensatz dazu könnten nicht-invasive Techniken wie tDCS und TMS in Zukunft breit angewendet werden. Sie sind vergleichsweise günstig und sehr sicher. Die tDCS liesse sich beispielsweise auch von Patienten zuhause selbst durchführen. Aktuell werden diese neuen nicht-invasiven Methoden intensiv beforscht. Bei der Behandlung von Depressionen oder akustischen verbalen Halluzinationen sind die Erfolge der TMS schon dokumentiert. Gute Ergebnisse gibt es auch für Zwangsstörungen, Schmerzen bei der Fibromyalgie oder spezifische Patientengruppen mit Negativsymptomatik bei Schizophrenie.

Für einige Erkrankungen laufen aktuell grosse Evaluationsstudien. Allerdings stehen für diese wichtigen multizentrischen Studien nicht annähernd so viele Forschungsmittel zur Verfügung wie bei der Einführung neuer Pharmaka. Wir werden daher noch länger warten müssen, bis alle Effekte in grossen, methodisch konservativen Studien ausreichend belegt sind. Dagegen ergeben sich aus dem Einsatz der neuen Hirnstimulationsmethoden hervorragende neue Möglichkeiten für unser Fach. Die neuen Methoden verändern den psychiatrischen Behandlungsalgorithmus: nicht mehr die Diagnose allein bestimmt die Therapieform, sondern die Behandlung bewegt sich auf der Ebene von Symptomdimensionen. Beispiele hierfür sind einzelne Gedächtnisprozesse, Stimmenwahrnehmung, Emotionsverarbeitung, motivationale oder motorische Störungen. Die Behandlung des Stimmenhörens durch hemmende TMS über dem linken Hörkortex ist sehr effektiv, aber nur für diese Symptomatik und besonders für Menschen, deren Hörkortex überaktiv ist. TMS und tDCS erlauben eine passgenaue zeitlich begrenzte Veränderung der Funktion einzelner Hirnregionen. Nachgeordnet können so ganze Netzwerke beeinflusst werden. Manche Stimulationsverfahren werden gegen Pharmakotherapie getestet, andere Studien zielen darauf ab, den zusätzlichen Gewinn einer solchen Therapie bei bestehender Pharmako- und Psychotherapie zu prüfen. Besonders spannend sind Ansätze, die gezielt Hirnfunktionen beeinflussen, um die Wirkung von Psychotherapie zu verstärken.

Die Integration von Hirnstimulationsmethoden in das Behandlungsspektrum der Psychiatrie zwingt uns, wieder neu über psychiatrische Erkrankungen nachzudenken. Die Herausforderungen dabei sind die präzise Indikationsstellung, die Planung und die Durchführung der verschiedenen Interventionen. Die Behandlung kann nur gelingen, wenn relevante Verhaltensweisen oder spezifisches Erleben beim Patienten identifiziert werden. Ausserdem benötigen Psychiaterinnen und Psychiater für die Behandlungen deutlich mehr Wissen über die Funktionsweise des Gehirns als bisher. Gleichzeitig müssen wir bestimmen, welche Behandlungen sich gut kombinieren lassen, wann Pharmakotherapie sinnvoll ist oder wann eine psychotherapeutische Intervention am effektivsten eingesetzt wird. Die neuen Hirnstimulationsverfahren eröffnen für unser Fach einige Chancen. Individualisierte, wissenschaftlich begründete Behandlungen werden mit der Integration von Hirnstimulationsmethoden in greifbare Nähe rücken und die allgemeine Behandlung von Diagnosen nach Standardschema ablösen. Unsere Patientinnen und Patienten dürfen darauf hoffen, dass die psychiatrische Behandlung weniger Nebenwirkungen und höhere Erfolgsraten aufweist als heute. Wir als Psychiaterinnen und Psychiater können unsere Kompetenzen sinnvoll erweitern. Das Fach Psychiatrie wird dadurch noch spannender.


 

.hausformat | Webdesign, Typo3, 3D Animation, Video, Game, Print