Lernen Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung) durch Neurofeedback ihre Hirnaktivität selber zu regulieren? Vermindern sie dadurch ihre Kernprobleme (1) Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Unruhe dauerhaft? Ist Neurofeedback die kommende evidenzbasierte ADHS-Behandlung für alle, eine sinnvolle Alternative und Ergänzung zu Psychotherapie und Medikation für manche, oder gar ein überschätztes Verfahren?
Neue Metaanalysen (2) und Leitlinien zeigen ein gemischtes Bild. So gibt es heute kaum Empfehlungen, Neurofeedback als Behandlung erster Wahl einzusetzen. Auch beurteilen etwa die involvierten Eltern die Wirksamkeit deutlich besser als die weniger beteiligten Lehrer oder Beobachter, welche teilweise gar keine nennenswerte Wirkung finden. Unspezifische Wirkungen des intensiven Trainings, wie das Erlernen von Stillsitzen oder verbesserte Selbstwirksamkeit, tragen klar zu den Verbesserungen bei. Allerdings gilt beides auch für andere Behandlungen. Dennoch finden sich für einige anerkannte Formen von Neurofeedback, die in kontrollierten Studien gut untersucht sind, spezifische Wirkungen, welche auch im Lehrerurteil erkennbar sind (2,3). Dazu sehen Eltern den Verlauf und die vielen betroffenen Lebensbereiche wohl am klarsten. Weiter finden sich auch Wirkungen auf andere «exekutive» Verhaltensweisen wie Flexibilität und Organisation im Alltag, welche die Lebensqualität der betroffenen Patienten verbessern können. In jedem Fall kann man aber keine sofortige Wirkung wie bei Stimulantien erwarten. Neueste Befunde zeigen, dass die Wirkung oft erst verzögert nach einigen Monaten auftritt. Das gilt auch für das technisch sehr aufwändige und auf eine bestimmte Hirnregion zielende Neurofeedback mittels Magnetresonanz-Bildgebung (4). Insgesamt ergibt sich ein gemischtes Bild, mit positiven Tendenzen für langfristige Wirkungen von Neurofeedback, aber unklaren Effekten auf den schulischen Alltag. Obwohl in den letzten Jahren einige wissenschaftlich anspruchsvolle Studien veröffentlicht wurden, besteht noch immer ein klarer Bedarf an solider Forschung zu wirksamerem, breiter einsetzbarem und individualisiertem Neurofeedback. Ein aktuelles Beispiel ist eine EU-Studie zur Wirksamkeit anerkannter Formen von Neurofeedback, das zuhause unter Anleitung der Eltern mit den Kindern durchgeführt werden kann.
Daniel Brandeis, Renate Drechsler, Susanne Walitza, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
(1) American Psychiatric Association. (2013). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5th edition (DSM-5) (5th ed.). Washington, DC: American Psychiatric Association Press.
(2) Cortese, S., Ferrin, M., Brandeis, D., Holtmann, M., Aggensteiner, P., Daley, D., Santosh, P., Simonoff, E., Stevenson, J., Stringaris, A., Sonuga-Barke, E. J. S., & on behalf of the European ADHD Guidelines Group. (2016). Neurofeedback for attention-deficit/hyperactivity disorder: meta-analysis of clinical and neuropsychological outcomes from randomized controlled trials. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 55(6), 444-455.
(3) Strehl, U., Aggensteiner, P., Wachtlin, D., Brandeis, D., Albrecht, B., Arana, M., Bach, C., Banaschewski, T., Bogen, T., Flaig-Rohr, A., Freitag, C. M., Fuchsenberger, Y., Gest, S., Gevensleben, H., Herde, L., Hohmann, S., Legenbauer, T., Marx, A. M., Millenet, S., Pniewski, B., Rothenberger, A., Ruckes, C., Worz, S., & Holtmann, M. (2017). Neurofeedback of Slow Cortical Potentials in Children with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder: A Multicenter Randomized Trial Controlling for Unspecific Effects. Frontiers in Human Neuroscience, 11, 135. doi: 10.3389/fnhum.2017.00135
(4) Alegria, A. A., Wulff, M., Brinson, H., Barker, G. J., Norman, L. J., Brandeis, D., Stahl, D., David, A. S., Taylor, E., Giampietro, V., & Rubia, K. (2017). Real-time fMRI neurofeedback in adolescents with attention deficit hyperactivity disorder. Human Brain Mapping, 38(6), 3190-3209. doi: 10.1002/hbm.23584