Assistierter Suizid: Vorgehen FMPP-Positionspapier und Resultate Grundlagenstudie

Das Thema assistierter Suizid hat in jüngster Vergangenheit hohe Wellen geschlagen. Es ist ein gewichtiges Thema, das mit Umsicht und breiter Abstützung bearbeitet werden sollte. Unsere Fachgesellschaft will ihre Verantwortung auch hier wahrnehmen, sich aktiv an dieser Diskussion beteiligen und ein entsprechendes Positionspapier verfassen. Grundlage dazu bildet zum einen, die unten von den Autoren beschriebene Studie, die auf einer Umfrage bei unseren Mitgliedern basiert. Zum anderen soll ein Worldcafé an der nächsten Delegiertenversammlung durchgeführt werden.
Daniel Bielinski, Vizepräsident SGPP

Erste Studienresultate: «Palliative Care und assistierter Suizid bei Patienten mit schwersten chronischen psychischen Störungen»

In einer 2016 und 2017 durchgeführten Studie der Universität Zürich in Kooperation mit der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) und der SGPP (zur Publikation eingereicht und gegenwärtig «under review») wurden 1311 deutschsprachige SGPP-Mitglieder hinsichtlich der Behandlungsziele für Menschen mit schwersten chronischen psychischen Störungen ohne komorbide körperliche Erkrankung befragt. Das Ziel dieses Projektes war es, Konzeptualisierungen und Einstellung von Psychiatern zur Behandlung von Patienten mit schwersten chronischen psychischen Störungen besser zu verstehen.

Ein Teil des Fragebogens befasste sich dabei mit der Einstellung gegenüber dem Zugang zur Sterbehilfe von Menschen mit schwersten psychischen Störungen. In einem zweiten Teil wurden den Psychiatern konkrete Fallvignetten solcher Patienten präsentiert, anhand derer sie ihre Einstellung zu eben diesem Thema abbilden konnten. Der Rücklauf lag bei knapp 35%. Eine Mehrheit (gut 48% aller Antwortenden) lehnte den Zugang zu assistiertem Suizid für diese Patientengruppe ab, während sich knapp 30% für den Zugang zur Sterbehilfe bei Patienten mit schwersten psychischen Störungen äusserten. Die Bereitschaft, sich selbst aktiv an der Sterbehilfe zu beteiligen, war mit gut 27% etwas geringer. Ein grosser Teil (21.2% bei der generellen Zustimmung und 16% bei der aktiven Beteiligung) der Antwortenden blieb neutral (d.h. kreuzte «0» auf der Likert-Skala an).

Die in den Fallvignetten abgebildeten Patienten litten jeweils an einer sehr schweren Form von Anorexie, therapieresistenter Depression und Schizophrenie. Alle Patienten zeigten chronische (>15 Jahre) Krankheitsverläufe trotz angemessener medikamentöser Therapie und Psychotherapie. Die Patienten äusserten nun den Wunsch «in Ruhe gelassen zu werden». Der Patient mit einer therapierefraktären Depression war zudem chronisch suizidal und wurde aktuell als akut suizidal eingestuft, da er bekannt gab «sich irgendwann in nächster Zeit das Leben zu nehmen». Allen Patienten wurde jedoch die Urteilsfähigkeit attestiert. 

Gut 35% aller Antwortenden hätten den expliziten und anhaltenden Wunsch nach assistiertem Suizid der anorektischen Patientin respektiert und sie in ihrem Vorhaben unterstützt, z. B. mit dem Verfassen eines psychiatrischen Gutachtens. Die Zustimmung fiel etwas geringer aus für den Patienten mit der therapieresistenten Depression (31.3%) und für den Patienten mit der schweren Schizophrenie (32.1%). Auch hier wurde erstaunlich häufig (zwischen 16.6-17.7%) die neutrale Mitte gewählt.

Die Resultate decken sich mit Ergebnissen aus Kanada und den Niederlanden, wo auch ungefähr ein Drittel der befragten Psychiater (Kanada) und einer von drei Angestellten im Gesundheitsbereich (Niederlande) dem Zugang zur Sterbehilfe basierend auf genuin psychiatrischen erkrankten Menschen grundsätzlich zustimmen. Die rege benutzte Kommentarspalte zum Schluss des Fragebogens zeugt zudem von verschiedenen ethischen Dilemmata der befragten Psychiater in Bezug auf die Sterbehilfe. Genannt wurde unter anderem, dass sich die Suizidbekämpfung und die Sterbehilfe gegensätzlich ausschliessen würden und dass Psychiater sich als Hoffnungsträger nicht an der Sterbehilfe beteiligen dürften, da die beiden Rollen fundamental unvereinbar wären. Es wurde aber auch davon gesprochen, dass trotz Verständnis für die Situation des Patienten in der Praxis der «Mut fehle», einen Suizid zu assistieren und dass sich nicht generalisieren liesse, wann man noch einmal gegen den Willen des Patienten/der Patientin hospitalisieren oder aber einen Suizidwunsch billigend hinnehmen sollte.

Generell lässt sich schliessen, dass die grosse Varianz im Antwortverhalten der Studienteilnehmer zum assistierten Suizid den fehlenden Konsens in der psychiatrischen Community der Schweiz abbildet. Um die Versorgung der psychiatrischen Patienten auch in Zukunft zu gewährleisten, muss sich die Psychiatrie jedoch dem Thema assistierter Suizid annehmen. Dies bedeutet in der Praxis vor allem, dass solche Wünsche – wenn von Patienten während der Therapie oder Sprechstunde geäussert – ernst genommen werden müssen. Psychiater müssen geschult werden, Patienten mit einem Sterbewunsch offen und verständnisvoll zu begegnen. Es muss zudem ein Diskurs stattfinden, welche Alternativen die Psychiatrie Menschen mit schwersten psychischen Störungen bieten kann und welche Rolle die Lebensverlängerung und Suizidprävention bei Wunsch nach Behandlungsabbruch oder minimal intrusiven Interventionen haben soll.

Manuel Trachsel und Martina Hodel
Institut für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte, Universität Zürich


Aktuelles medico-legales Fazit von Franz Caduff, Psychiater Burgdorf

Der assistierte Suizid bei urteilsfähigen Menschen mit terminalen somatischen Erkrankungen ist heute weitgehend etabliert. Dieser ist bei hochbetagten oder somatisch schwer kranken Menschen ohne terminale Erkrankung gesellschaftlich zwar umstritten, aber mehr und mehr Usus, solange kein Zweifel an der Urteilsfähigkeit besteht. Vor einem assistierten Suizid bei (betagten und/oder somatisch kranken) Menschen mit komorbiden psychiatrischen Erkrankungen muss in jedem Fall die Urteilsfähigkeit abgeklärt werden. Hierzu gehört auch der „Sonderfall“ des assistierten Suizides bei progredienten dementiellen Erkrankungen. Der assistierte Suizid bei Menschen mit vorwiegend respektive ausschliesslich psychiatrischen Erkrankungen ist umstrittenen, in bestimmten Fällen jedoch möglich. Hilfe bei der Entscheidungsfindung bieten die Empfehlungen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW 2018). Zentrale Elemente sind die Wohlerwogenheit und Konstanz des Sterbewunsches, die Autonomie des Entschlusses, wie auch die Abgrenzung des Sterbewunsches von der Psychopathologie der psychiatrischen Grunderkrankung. Hierbei spielen natürlich Ermessens- und ethische Fragen eine zentrale Rolle.


 

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