Die Ostschweizer Psychiatrie hatte wenig Covid 19-Fälle, musste sich aber dennoch auf alle Eventualitäten vorbereiten. Aktuell wird die Entwicklung wachsam beobachtet. Die Krise wird als Chance für die Positionierung der Psychiatrie gesehen.
Die Pandemie galt schnell als riesige Bedrohung – auch in der Ostschweiz. In der Psychiatrie St. Gallen Nord hatten wir nur zwei Patienten, die an Covid-19 erkrankten. Einer davon – ein psychisch vorerkrankter Patient, der im Rahmen einer FU eingewiesen wurde, war schon ein paar Tage vor Eintritt positiv getestet worden. Beim anderen Fall war im Verlauf der stationären Behandlung ein Corona-Test positiv ausgefallen, ohne dass die Ansteckungsquelle gefunden werden konnte. Beide Patienten hatten somatisch aber einen leichten Verlauf und waren auch von der psychiatrischen Krankheit her gut führbar.
Ende Februar hatte ich noch eine letzte Lehrveranstaltung an der Universität Zürich. In der ersten Märzwoche haben wir einen Krisenstab gebildet und die Vorbereitungen gestartet. Wie überall standen dabei die Schutzmassnahmen, Eingangskontrollen und die Umstellung auf Telemedizin im Zentrum. Im Grunde genommen spürten wir sonst klinisch keine Auswirkungen. Aber wir haben alles vorbereitet für alle Eventualfälle – wie beispielsweise den Personalausfall.
Für das Personal war die Pandemie ein grosses Problem. Viele hatten Angst vor der Ansteckung, besonders jene, die selber Risikofaktoren aufweisen. Einige hatten auch Angst, das Virus zu Hause einzuschleppen. Hauptaufgabe war somit die interne Kommunikation, die täglich an die sich stets verändernde Situation angepasst werden musste. Ferner beschäftigte uns das Schutzmaterial: Wie kommen wir zu Masken, Desinfektionsmittel oder Tests?
Unsere Patienten hatten nur vereinzelt Angst. Was wir aber im Verlauf bemerkten, war, dass wir vermehrt Zuweisungen von Patienten hatten, die wegen der Corona-Krise erkrankten: Soziale Isolation, fehlendes Netz, beengte Wohnverhältnisse, drohende Armut waren auslösende Faktoren. Ich glaube auch, dass es in den kommenden Monaten noch psychische Folgeerkrankungen geben wird. Auch werden wir alle Rückschläge erleben, sollten die Massnahmen wieder verschärft werden müssen.
Ich habe eigentlich ganz normal weitergearbeitet in einem gewohnt geregelten Ablauf. Viele Mitarbeitende arbeiteten im Homeoffice. Als Chefarzt war ich vor Ort, denn ich vertrete die Haltung, dass der «Kapitän aufs Schiff gehört». Ich hatte zwar viele Krisenstabsitzungen, aber dafür sind auch viele Termine weggefallen. Dies gab mehr Raum und Ruhe.
Verglichen mit der Somatik haben wir vernachlässigbare Ertragsausfälle von wenigen Prozenten. Wir hatten eine normale Bettenbelegung, nur wenige Rückgänge in den Ambulatorien und der Tagesklinik, was wir aktuell wieder kompensieren.
Es hat sich bei uns gezeigt, dass wir sehr gut vorbereitet waren und uns agil an die Dynamik der Pandemie anpassen konnten. Zeitgleich haben wir aber viel gelernt und die hohe Bereitschaft, an einem Strick zu ziehen, war sowohl auf Seite des Betriebs als auch bei den Patienten sehr beeindruckend. Die Krise fordert alle, aber sie gibt gerade uns, in der Psychiatrie, auch eine Chance, zu zeigen, welche gesellschaftliche Bedeutung unser Fachgebiet hat.
Thomas Maier ist Chefarzt Erwachsenenpsychiatrie an der Psychiatrie St. Gallen Nord.