SGPP-Kongress: Einsichten zur Zukunft der Psychiatrie

Wie kann die Psychiatrie eine zentralere Rolle in der Versorgung übernehmen und die anstehenden Herausforderungen meistern? Der Kongress der SGPP, der in diesem Jahr am 7. und 8. September 2023 in Bern stattfindet, widmet sich der Zukunft der Psychiatrie. Erich Seifritz und Catherine Léchaire vom Co-Präsidium geben erste Einblicke in das Programm.

Interview: Manuela Specker, Kommunikationsbeauftragte

«Die Zukunft der Psychiatrie – Herausforderungen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung»: So lautet Kongress-Schwerpunkt für dieses Jahr. Was hat euch zu dieser Themenwahl bewogen?

Erich Seifritz: Das Programmkomitee ist überzeugt, dass sich die Psychiatrie und damit die SGPP vermehrt in die Weiterentwicklung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung der Schweiz einbringen müssen. Wir haben ein stark föderal ausgelegtes System mit wenig nationaler Steuerung. Das führt zu einer heterogenen Versorgungslandkarte, in der Regionen mit einer sehr hohen Versorgungsdichte und Regionen mit einer Mangelversorgung nebeneinander liegen. Die Einführung des Anordnungsmodells wäre eine grosse Chance für eine verbesserte Versorgung gewesen, aber wir steuern durch den erleichterten Zugang zur Psychotherapie auf eine Mengenausweitung zu, ohne dass die Lücken in unterversorgten ländlichen Regionen oder generell für Menschen mit schwereren psychischen Erkrankungen geschlossen werden. Die SGPP hat sich deswegen zum Ziel gesetzt, sich für eine verbesserte Versorgung stark zu machen, welche bestehende Engpässe behebt. Der kommende Kongress bietet dafür eine Grundlage als Ideengeber und kreativer Resonanzraum.

Catherine Léchaire: Wir befinden uns an einem Wendepunkt in der psychiatrischen Versorgung. Die COVID-Pandemie hat zwar vielen Menschen vor Augen geführt, wie wichtig die psychische Gesundheit und ausreichende Kapazitäten in der Versorgung sind. Aber zugleich sind Menschen mit psychischen Erkrankungen nach wie vor stigmatisiert, und das Anordnungsmodell könnte für die ärztliche Psychotherapie zu einer Herausforderung werden. Zudem steuern wir in der Schweiz auf einen Ärztemangel zu, gerade auch in der Psychiatrie. Sich für eine verbesserte Versorgung stark zu machen, bedeutet deshalb auch, den Titel des Psychiaters und Psychotherapeuten zu verteidigen und auf die Besonderheiten dieses Fachgebietes an der Schnittstelle zwischen Natur- und Geisteswissenschaften aufmerksam zu machen. Der Beruf des Psychiaters und Psychotherapeuten ist faszinierend, aber leider gibt es zu wenige ärztliche Kolleginnen und Kollegen, die sich für dieses Fachgebiet interessieren und die Weiterbildung in Angriff nehmen.

Könnt ihr schon etwas über spezifische Aspekte verraten, die im Rahmen dieses Schwerpunktes behandelt werden?

Catherine Léchaire: Neben speziellen Workshops zu den Fortschritten der Neurowissenschaften und neuen Behandlungsmethoden wird der ärztlichen Psychotherapie und ihrem Nutzen bei der Behandlung schwerer psychischer Störungen gebührend Platz eingeräumt werden.

Erich Seifritz: Die berufliche Identität wird einer der zentralen Aspekte sein. Dazu gehören auch Reflexionen über Aufgaben, die nicht zwingend in unseren Bereich gehören und problemlos von anderen Berufsgruppen erfüllt werden könnten. Wichtig sind insbesondere auch Finanzierungs- und tarifarische Fragen. Psychiatrische Leistungen müssten deutlich besser entschädigt werden, auch angesichts unserer wichtigen Funktion, die wir in der Grundversorgung übernehmen, und angesichts der Tatsache, dass die Weiterbildung sehr zeitintensiv ist und die Arbeit sehr belastend sein kann, gerade Behandlungen von Patienten und Patientinnen, die an einer schwereren chronischen psychischen Erkrankung leiden.

Bereits am 5-Länder-Symposium am Kongress 2022 wurden Aspekte der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung diskutiert. Ist dieses Format auch in der diesjährigen Ausgabe wieder angedacht?

Erich Seifritz: Ja, das Format hat sich sehr bewährt und ist auf grosses Interesse gestossen. Für Psychiaterinnen und Psychiater ist es wichtig, über die Unterschiede und Ähnlichkeiten in der Gestaltung und Ausübung unseres Berufes in den angrenzenden Ländern Bescheid zu wissen. Dies kann dazu dienen, Entwicklungen in der Schweiz besser antizipieren zu können. Ein gutes Beispiel ist die Veränderung der Rolle von psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in der Versorgung. In Deutschland fand vor über 20 Jahren ein ähnlicher Systemwechsel statt wie bei uns. Deutschland ist uns einige Jahre voraus. Wie wir heute sehen, hat sich dort der psychiatrische Beruf nachhaltig und nachteilig verändert. Das gibt uns die Chance, daraus zu lernen und im Rahmen des Anordnungsmodells rechtzeitig Gegensteuer zu geben.

Catherine Léchaire: Es ist uns wichtig, dass wir uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus den Nachbarländern austauschen können. Und zu beobachten, inwieweit wir uns von ihren Praktiken inspirieren lassen können.

Auf welche Highlights des kommenden Kongresses wollt ihr speziell hinweisen?

Erich Seifritz: Ich freue mich besonders auf die spannenden Hauptvorträge, die ein Thema umfassen und kompakt vermitteln.

Catherine Léchaire: Ich freue mich, dass wir mit mehreren Rednern aus der Westschweiz rechnen können, die uns von ihren praktischen Erfahrungen psychotherapeutischer Ansätze als elementarer Teil psychiatrischer Behandlung berichten werden.

Wo seht ihr für das Fach Psychiatrie und Psychotherapie die grössten Herausforderungen in den kommenden Jahren?

Erich Seifritz: Wie Catherine angedeutet hat, leidet die Gesundheitsversorgung unter einem dramatischen Fachkräftemangel. Das hat bereits dazu geführt, dass Abteilungen und Betten in Spitälern, nicht nur in psychiatrischen, geschlossen werden müssen und die Wartefristen für bestimmte Behandlungen zunehmen. In der Psychiatrie ist insbesondere der Mangel an ärztlichem Nachwuchs aus den eigenen Reihen ein grosses Problem. Während in allen Schweizer Spitälern im Durchschnitt aktuell rund 40 Prozent der Ärzte und Ärztinnen ein ausländisches Staatsexamen besitzen, ist dieser Anteil in psychiatrischen Kliniken noch deutlich grösser. Auf die Dauer ist diese Abhängigkeit vom Ausland nicht haltbar und auch politisch nicht vertretbar. Die Schweiz muss sich Gedanken machen, wie sie in Zukunft den ärztlichen Bedarf aus eigener Kraft abdecken kann. Neben der Aufstockung der Studiumsplätze in Medizin müssen auch innovative Modelle entwickelt werden, wie multiprofessionelle Teams effizienter gemeinsam und synergistischer zusammenarbeiten, um die Herausforderungen der Gesundheitsversorgung meistern zu können.

Catherine Léchaire: Die Verteidigung der Psychotherapie als eigenständige medizinische Einheit. Wir müssen weiterhin in der Lage sein, unsere Patientinnen und Patienten auf integrierte Weise zu betreuen und dabei ihre Gesamtsituation zu berücksichtigen. In der Medizin ist allgemein eine immer stärkere Spezialisierung zu beobachten. Ärztinnen und Ärzte sind Spezialisten für ein einziges Organ, manchmal sogar für eine einzige Pathologie. Unsere Patienten müssen als eine Einheit gesehen werden, als Personen, deren Leiden mehrere Aspekte ihres Lebens betrifft. Darum ist es wichtig, dass sie ein ganzheitliches Bild von sich haben; psychisches Leiden berührt etwas, das sich nicht messen oder berechnen lässt. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen wir alle an einem Strang ziehen. Der Kongress ist ein besonderer Moment im Jahr, um uns auszutauschen und unsere Kräfte in einem für die Psychiatrie und die Psychotherapie schwierigen Umfeld zu bündeln.

Der SGPP-Kongress mit Schwerpunkt «Die Zukunft der Psychiatrie – Herausforderungen für die psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung» findet am 7. und 8. September 2023 im Kursaal in Bern statt. Weitere Informationen sind hier zu finden. Die Abstract-Einreichung ist bis 19. April 2023 möglich.

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