Ratgeber für Versicherungsfragen

Jean-Daniel Sauvant, Präsident der Ständigen Versicherungskommission SKV 

 

Unter unseren Mitgliederanfragen finden sich seit einiger Zeit häufiger Probleme mit Taggeldversicherungen. Es geht dabei also um die längerdauernde Arbeitsunfähigkeit von Patient*innen, die durch private Versicherer abgedeckt wird. Für solche Situationen hat der Arbeitgeber seine Angestellten bei einer Taggeldversicherung versichert. 

 

Fallbeispiel:

Ein Kollege erhält bei einer Patientin, die er seit einiger Zeit arbeitsunfähig geschrieben und bei der er der Taggeldversicherung bereits einen Arztbericht zugestellt hat, folgenden Brief von diesem Versicherer: « Sehr geehrter Herr Doktor, Wir haben Ihren Bericht unserem beratenden Facharzt zur Stellungnahme vorgelegt. Gemäss seiner Beurteilung sind die Therapiemassnahmen noch nicht ausgeschöpft.» In einer beigelegten Kopie eines Briefes an die Patientin wird die Bedingung formuliert, sowohl die Sitzungsfrequenz als auch die Medikation seien in bestimmter Weise abzuändern.  … «Weiter gehen wir nach Anpassung der Behandlung von einer vollen Arbeitsfähigkeit ab dem xx.x.2021 (= Datum 2 Monate später) aus. … Wir bitten Sie, die erwähnten Massnahmen mit Ihrer Patientin zu besprechen und umzusetzen. Falls Sie damit nicht einverstanden sein sollten, wollen Sie uns bitte Ihre Beurteilung und Ihre Gründe mitteilen. … ». 

Der Kollege fragt uns: Darf der Versicherer in dieser Weise auf die Behandlung Einfluss nehmen?

Kommentar:

Taggeldversicherungen unterstehen fast immer dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und nicht dem KVG. Dabei sind neben dem Gesetz (VVG) oft auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) des konkreten Versicherungsvertrag zu beachten. Im vorliegenden Fall geht es nun um die Frage der „Schadenminderungspflicht" der Patientin (ein Begriff, der aus dem Sozialversicherungsrecht stammt und der im VVG analog unter der Bezeichnung „Rettungspflicht“ erscheint). Im VVG hat der Versicherer in der Tat das Recht, Auflagen zu machen, wenn diese „zielführend“ und „zumutbar“ sind. Wenn also der Versicherer im oben beschriebenen Fall der Patientin (und implizit auch dem Arzt) Behandlungsauflagen macht, muss die Versicherte diese befolgen, sofern diese Auflagen a) geeignet sind, ihre Arbeitsfähigkeit tatsächlich zu verbessern und b) zumutbar sind. Beides ist nicht mit absoluten Kriterien messbar.

Juristisch gilt, dass solche Massnahmen nicht gegen den Willen der Patientin durchgesetzt werden können. Allerdings könnte die Versicherung bei einer Verweigerung seitens der Patientin ihre Versicherungsleistungen einstellen.

Dieses Fallbeispiel zeigt, dass das VVG „versicherungsfreundlich“ ausgerichtet ist. Anders als im KVG gibt es auch die Funktion des Vertrauensarztes nicht. Der Versicherer kann (und wird – wie im obigen Fallbeispiel – in umstrittenen Fällen meistens) eine beratende Fachärztin zuziehen; er ist aber nicht dazu verpflichtet und kann durchaus auch ohne Beizug einer Ärztin entscheiden.

Wenn man in der Praxis eine*n Patienten*in arbeitsunfähig schreibt, und wenn diese Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich länger als zwei bis drei Wochen dauern wird, ist es meistens sinnvoll, proaktiv mit dem Case Manager der Versicherung Kontakt aufzunehmen.  Indem man so den Versicherer frühzeitig „mit ins Boot zu holen“ versucht, soll eine Einmischung des Versicherers möglichst vermieden werden (siehe hierzu auch unser Merkblatt «Zusammenarbeit zwischen Fachärzt*innen für Psychiatrie & Psychotherapie und Case Managern der Privatversicherer» im Mitgliederbereich FMPP unter der Rubrik SKV).

Taggeldversicherungen lassen Patient*innen bei länger bestehender Arbeitsunfähigkeit oft durch einen ärztlichen Gutachter untersuchen. Das erstellte Gutachten geht dabei in aller Regel ausführlicher auf die Frage der Arbeitsunfähigkeit ein, als dies in einem einfachen Zeugnis der behandelnden Ärztin der Fall ist. Wenn der Patient die Schlussfolgerungen des Gutachtens nicht anerkennen will, muss er sich juristisch dagegen wehren. Das bedeutet auch, dass er die Kosten für das Erbringen des Gegenbeweises vorschiessen muss. Bei Streitigkeiten mit einer Taggeldversicherung empfehlen wir deshalb grundsätzlich, frühzeitig die Hilfe einer auf diesem Gebiet spezialisierten Juristin in Anspruch zu nehmen, da es sich schnell um grosse Geldbeträge handeln kann.

Wer sich eingehender mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit beschäftigen möchte, findet u.a. auf der Homepage der Swiss Insurance Medicine (SIM) interessante Erklärungen und Formulare: https://www.swiss-insurance-medicine.ch/de/fachwissen-und-tools/arbeitsunfahigkeit

 

 

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