«Es braucht mehr in der Therapietoolbox!»

Keynote-Referat PSY-Kongress 2019 von Gregor Hasler

Jeder zweite Depressive reagiert auf keine der herkömmlichen Behandlungen. Bei der bipolaren Depression liegt die Remissionsrate nochmals deutlich tiefer. Es besteht also Handlungsbedarf. Gregor Hasler spricht am PSY-Kongress 2019 über alte Probleme und neue Ansätze in der Depressionsbehandlung.

Prof. Hasler, warum hat gerade die Depression am Kongress einen so wichtigen Stellenwert?

Depressionen sind nicht nur im klinischen Alltag, sondern auch gesellschaftlich und ökonomisch sehr relevant. Laut dem Bundesamt für Statistik lag die Inzidenz für eine «Major Depression» im Jahr 2017 bei Frauen bei 7.8% und bei Männern bei 9.5%. Sie sind auch im Vergleich mit anderen psychischen Erkrankungen viel häufiger: So liegt die Lebenszeitprävalenz bei Depressionen bei 15-20%, bei Schizophrenie oder Bipolarer Störung nur bei 1%. Auch geht heute bereits die Hälfte aller IV-Renten an Menschen mit Depressionen.

Die Remissionsraten liegen aber trotz Behandlung nur bei rund 50%. Warum?

Obwohl wir vieles richtig machen, zeigt sich eine hohe Therapieresistenz. Das liegt zum einen daran, dass Depressionen bei Menschen unterschiedlich verlaufen. Zudem reagiert jeder anders auf eine Therapie. Dazu kommen die Nebenwirkungen, die einen grossen Einfluss auf die oft bereits eingeschränkte Compliance der Betroffenen haben. Zum anderen haben die verfügbaren Antidepressiva alle ähnliche Wirkmechanismen.

Wo setzen Sie also an?

Wenn eine Behandlung keinen Effekt hat, sollte mit Fokus auf die Pseudoresistenz immer zuerst die Situation systematisch überprüft werden. Ist die Behandlung unzureichend? Ist beispielsweise die Dosis zu tief? Wurden psychosoziale Faktoren übersehen? Stimmt die Diagnose? In der Folge können wir uns fragen, ob wir die klinische Situation verbessern können? Beispielsweise mit Psychotherapie, Sport, Ernährung oder Schlaf. Hier bieten die internationalen Richtlinien viele Optionen, über die wir am PSY-Kongress diskutieren werden.

Sie fordern, das systemische Therapieangebot zu erweitern. Welche Alternativen gibt es?

Ein Ansatz sind die EKT/TMS-Methoden, die in den vergangenen Jahren mehr und mehr Akzeptanz gefunden haben. Wie wir alle wissen, hat eine Depression auch etwas mit Hormonen zu tun. Daher bietet sich hier ebenfalls eine neue Forschungsrichtung. Ein wichtiger moderner Ansatz bietet das Narkosemittel Ketamin, das in sehr tiefer Dosierung stimmungsaufhellend wirkt. Die ersten Studienresultate begeistern hier nicht nur die «Forschungscommunity». Eine andere noch sehr experimentelle Methode ist Botox, das den Corrugator-Muskel lähmt, der für negative Gefühle zuständig ist. Auch hier zeigen erste Studien vielversprechende Resultate. Bei der Vagustherapie, die über die Darm-Herz-Hirn-Achse wirkt, weisen allerdings nur die langfristigen Beobachtungsstudien auf mögliche Effekte. Erste Ergebnisse zu nicht-invasiver Vagus-Nerv-Stimulation sind vielversprechend.

Welche Anliegen verfolgen Sie mit Ihrem Key-Referat am PSY-Kongress?

Mir geht es darum, aufzuzeigen, was man mit den heutigen Möglichkeiten tun kann und wie wir die Therapieeffekte verbessern können. Dazu stelle ich moderne Methoden in Kombination mit den relevanten Studienergebnissen vor. In der Debatte um diese neue Vielfalt will ich neue Perspektiven aufzeigen und damit auch Hoffnung schüren. Dem Plenum bietet sich die Möglichkeit, sich mit den Resultaten kritisch auseinanderzusetzen und das Therapiespektrum für die eigene klinische Anwendung sinnvoll einzuordnen.

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Université Fribourg und Chefarzt am Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie hat sich in den USA auf den Einfluss von Stress auf die psychische und körperliche Gesundheit spezialisiert. Hasler hat die Schweizer Behandlungsempfehlungen für Bipolare Störungen verfasst und ist Mitautor von internationalen Behandlungsleitlinien für Depression. Im Zentrum seiner aktuellen Forschungstätigkeit steht das Zusammenspiel sozialer, psychischer und biologischer Faktoren bei der Prävention und Behandlung psychischer Störungen.

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